Samstag, 2. August 2008

Feature

Eine Partei ohne Volk
Erstmals in der Geschichte hat die CDU mehr Mitglieder als die SPD

Es ist schönstes Sommerwetter in Bielefeld, die Genossen der SPD feiern das traditionelle Sommerfest. Man kennt sich schon seit Jahren, in diesem ehemals reinen Arbeiterviertel.
Damals in den 30´er Jahren erwarb die sozialistische Baugenossenschaft Grund für den Bau von Arbeiterwohnungen. Die Wohnungen sollten günstig sein, bezahlbare Mieten, auch für einen Familienvater mit drei Kindern und kleinem Lohn.

Es ist heute immer noch ein Viertel in dem überwiegend SPD- Mitglieder wohnen. Auch der 65 jährige Rentner Karl Heinz Führing war Arbeiter, Elektroinstallateur und seine Familie lebt seit Generationen in diesem Stadtteil.
Er ist stolz auf seine Vorfahren und die Mitgliedschaft in der SPD. Wie sollte es anders sein, selbst sein Opa gehörte schon der Partei an.„ Zur SPD gehören ist nicht nur Mitgliedschaft, es ist eine Art Zusammengehörigkeit, die über Generationen und ein Leben anhält“, erzählt Führing stolz, was die umsitzenden Rentner am Kaffeetisch unter dem roten Sonnenschirm mit kräftigem Nicken bestätigen.

Das Parteibuch der SPD, nicht nur Mitgliedsnachweis,
die eingeklebten Sondermarken zeugen von gelebter Geschichte.


Alle erinnern sich noch gut an die Zeit, als ihre Partei noch eine andere war, eine die für die Arbeiter kämpfte und nicht hauptsächlich denen hilft, die ihr Geld schon gut in eine Ecke gelegt haben. Manchmal verzweifelt Führing an seiner eigenen Partei. Austreten will er trotzdem nicht- noch nicht.
Er zählt noch zu den treuen Genossen, die ihr Parteibuch noch nicht nach Berlin an den SPD-Generalsekretär Hubertus Heil geschickt haben. Vielen Genossen reicht es, auch Führing kennt einen ehemaligen Kollegen, der die Partei nach 20 Jahren Mitgliedschaft wütend und mit etwas Wehmut verlassen hat. Die Reformpolitik Agenda 2010, Hartz IV und die Rente mit 67 sind für sie ein unverzeihlicher Kursschwenk. Die SPD zählt erstmals in der Geschichte weniger Mitglieder als die CDU/CSU. Doch das liegt keineswegs an steigenden Mitgliedszahlen der Konservativen. In diesen Tagen ist es ist ein Wettlauf darum, wer am wenigsten Wähler verliert. Ein Rennen, das nicht die Partei, die zuerst das Parteiziel erreicht gewinnt, sondern die Partei gewinnt, der zuletzt die Wähler ausgehen. Klare Linien gibt es im Moment nicht- in beiden Parteien. Genau das macht auch die Parteibasis der CDU, sowie SPD ratlos. „ Wenn ich so einen Clement hör da fragt ich mich; was macht der in der SPD, die Linken der SPD werden in eine Ecke gedrängt und die Partei ist nur noch eine Karriereleiter“, sagt Führing verbittert.
Eine CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen, die Pläne hat, die von Sozialdemokraten stammen könnten und eine Agendapolitik von Gerhard Schröder, die vom SPD-Programm stark abweicht und ungewohnt wirtschaftsnah ist, stiftet Verwirrung unter den Parteimitgliedern.
Das Vertrauen in die eigene Partei lässt nach, wenn sich die Positionen angleichen ist dem Wähler nicht klar, warum er ausgerechnet seine Partei noch wählen sollte, wenn sie doch nicht ihre Grundsätze einhält.

Führings Gründe, warum er noch nicht ausgetreten ist, erzählt er mit einem bitteren Lächeln, es gibt für ihn keine Alternative. Die Linke wählen kommt für ihn nicht in Frage, die haben zwar die Grundsätze der alten SPD aufgenommen, aber die Umsetzung scheint ihm wenig realistisch. “Alles bloßer Populismus, die wählt man doch nur um es seiner SPD zu zeigen, aus Trotz!“ und CDU wählen ginge für einen alten Arbeiter wie ihn gar nicht, selbst wenn sich die Konservativen anstrengen und soziale Ideen der SPD klauen. Eine Partei die sich ohne großes Hinterfragen hauptsächlich auf alte Werte beruft, aber trotzdem nicht an die schwächeren der Gesellschaft denkt ist für Führing nicht vertretbar.

Der Austritt von den alten Genossen, ist für viele die einzige Möglichkeit ihren Unmut zu zeigen. Denn was ist eine Volkspartei ohne Volk- machtlos. Ungewöhnliche Bündnisse können nicht mehr ausgeschlossen werden um regierungsfähige Mehrheiten zu erhalten.
Eine Schwächung der beiden Volksparteien ist zwar neu in der deutschen Geschichte doch eine Gefahr für die Demokratie sehen die Wähler darin nicht. Im benachbarten Europa sind Bündnisse zwischen einer alten sozialdemokratischen Partei und einer neuen linken Partei möglich. Berlin macht es uns in Deutschland auch vor. Wenn selbst die CDU mit den Grünen in Hamburg koaliert, die sonst unter Konservativen als Schmuddelkinder bezeichnet wurden, scheint doch einiges möglich.


Die ersten Grünen-Abgeordneten 1983
im Bundestag während einer Plenardebatte


Ein größeres Problem ist für die Parteien, das ihnen die Politikerpersönlichkeiten fehlen. Da ist es für Louise Hansen, langjähriges SPD-Mitglied, kein Wunder das Oskar Lafontaine so viele Arbeiter begeistert, der kann gut reden und ist einer der davon profitiert seine Meinung zu sagen. Ein Kurt Beck kann das ihrer Meinung nicht, er ist zu Konfliktscheu und möchte es allen Recht machen, was natürlich nicht geht. Wenn er dann doch mal seine Meinung verlauten lässt, dann kann er nicht mit der Kritik des Gegners umgehen und fühlt sich persönlich angegriffen. „Ein Willy Brandt hätte da noch längst nicht reagiert“, erinnert sich Frau Hansen.


Am späten Nachmittag wird zum Ausklang des Sommerfestes noch gesungen, das ist auch Tradition: „Und wir schreiten Seit' an Seit' und mit uns zieht die neue Zeit.“ Jetzt nagt sie eher an der SPD, von der einen Seite ragt Die Linke herein und von der anderen Seite eine beim Volk beliebte Kanzlerin Merkel.